Eine der zentralen Säulen im Prüfungsrecht ist die möglichst präzise Regelung des Prüfungsverfahrens und die genaue Einhaltung dieser Bestimmungen. Dadurch wird einerseits eine Rechtfertigung für die den Prüfenden zugestandene Beurteilungs- und Bewertungsfreiheit begründet, deren Grenzen erst dann erreicht sind, wenn richtige Lösungen als falsch (und umgekehrt: falsche Lösungen als richtig) bewertet werden, und andererseits lässt sich nur dadurch die für die Abnahme von Prüfungen zentrale Forderung nach Chancengleichheit gewährleisten.
Zu den in einer Prüfung zu zeigenden Fähigkeiten gehört daher nicht nur inhaltlich die zu prüfende Leistung erbringen zu können, sondern verlangt werden kann je nach entsprechender Regelung in der entsprechenden Prüfungsordnung von den Teilnehmenden beispielsweise auch, sich bei Einlass in den Klausursaal legitimieren zu können, funktionstüchtige Prüfungsutensilien wie Stifte oder zugelassene Hilfsmittel in ordnungsgemäßem Zustand mitzuführen und andere Teilnehmende während der Prüfung nicht zu stören.
Ein Problem für viele, die an Prüfungen teilnehmen, ist das Zeitmanagement. Manchmal kommt die zündende Idee erst gegen Ende der Klausur, bei der Hausarbeit gelingt die Konzentration erst gegen Ende der Bearbeitungszeit oder bei der Thesis beziehungsweise Abschlussarbeit gestaltet sich die Quellensuche und ihre Auswertung unerwartet langwierig und dann streikt am Ende vielleicht noch der Drucker. Auch in diesen Fällen ist selbstverständlich der Grundsatz der Chancengleichheit zu beachten mit der Folge, dass alle diese Umstände, so menschlich nachvollziehbar sie im Einzelfall sein mögen, grundsätzlich keine Berücksichtigung finden können. Denn auch die Fähigkeit, unter Zeitdruck zündende Ideen abliefern, die Konzentration aufrecht erhalten, die Quellensuche organisieren und über einen funktionstüchtigen Drucker verfügen zu können, gehört mit zu den Fähigkeiten, die für eine erfolgreiche Prüfungsteilnahme vorausgesetzt werden dürfen.
Anders sieht dies aus bei Krankheit oder in besonderen Ausnahmefällen, etwa dem Tod einer nahen Angehörigen. In diesen Fällen ist ein Rücktritt von der Prüfung oder eine Verlängerung der Prüfungszeit möglich. Voraussetzung dafür ist, dass entsprechende Anträge bei der Prüfungsbehörde eingereicht werden, und zwar - das ist von entscheidender Bedeutung - unverzüglich. Nachträglich, insbesondere nach Bekanntgabe der Prüfungsbewertung, ist dies nur in absolut besonderen Ausnahmekonstellationen denkbar und an so besondere Voraussetzungen geknüpft, dass dies in der Praxis so gut wie nie gelingt und daher kaum eine Rolle spielt.
Eine Studierende unserer Mandantin hatte im dritten und damit letzten Prüfungsversuch eine Modulprüfung in Gestalt einer mehrwöchigen Hausarbeit zu fertigen und fristgerecht über ein hochschuleigenes Portal einzureichen, und zwar unter Wahrung entsprechender Förmlichkeiten wie Deckblatt, Gliederung, Literaturverzeichnis und so fort. Abgabetermin war der 20. Juli 2022. Weil die Arbeit bei unserer Mandantin bis Mitte September 2022 nicht eingegangen war, stellte unsere Mandantin das endgültige Nichtbestehen der Modulprüfung fest.
Dagegen hat die Studierende Widerspruch erhoben und vorgetragen, sie habe fristgerecht im August die Arbeit eingereicht, verfüge aber nicht über eine Kopie der eingereichten Arbeit, sondern könne eine Arbeitsfassung vorlegen. Später hat sie vorgetragen, am Tage des Fristablaufs habe sie vor 23:59 Uhr die Arbeit bei der Hochschule hochgeladen. Und aufgrund der umstände-/coronabedingten hohen beruflichen Belastung an ihrem Arbeitsplatz und der besonders hohen Arbeitsbelastung bei einem dualen Studium sei die Hochschule verpflichtet, eine Wiederholung an Kursen zu ermöglichen.
Der Widerspruch wurde von der Hochschule zurückgewiesen, woraufhin die Studierende Klage erhoben und einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht Weimar eingereicht hat mit dem Ziel, dass die Arbeit von unserer Mandantin angenommen und bewertet oder ihr eine weitere Wiederholungsmöglichkeit eingeräumt wird.
Es kann passieren, dass selbst die sorgfältigste Person mit bestem Zeitmanagement gehindert wird, eine Frist einzuhalten. Für diesen Fall sieht das Verfahrensrecht die sogenannte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor. Voraussetzung für eine solche Wiedereinsetzung ist, dass ein Sachverhalt glaubhaft gemacht wird, aus dem sich ergibt, dass die Frist unverschuldet nicht eingehalten werden konnte, weil trotz sorgfältiger und umsichtiger Vorgehensweise aufgrund von Umständen, die unbeeinflussbar passieren und mit denen nicht gerechnet werden muss, ein Hindernis entstand. Das Beispiel war früher, den Briefumschlag mit der Arbeit so frühzeitig bei der Post einzureichen und dies durch die Post quittieren zu lassen, dass bei normalem Postlauf mit einem Eingang des Umschlags bei der Prüfungsbehörde vor Fristablauf gerechnet werden konnte. Verbummelte die Post dann diesen Umschlag, gelang durch Vorlage der Quittung der Nachweis, für den verspäteten oder unterbliebenen Eingang nicht verantwortlich zu sein. Mittlerweile würde es wohl genügen, wenn der Briefumschlag in den Briefkasten gesteckt wird, während dies die Videofunktion des Handys dokumentiert. Bei dem heute natürlich viel häufigeren Versand auf elektronischem Wege bietet sich ein screenshot des Gesendet-Ordners an.
Einen solchen oder einen ähnlichen Nachweis konnte die Studierende nicht vorlegen. Abgesehen davon passte ihre spätere Darstellung auch nicht zu ihrer vorangegangenen Erklärung, die Arbeit fristgerecht im August eingereicht zu haben, obwohl die Frist im Juli abgelaufen war. Auch dass sie nur eine Arbeitsfassung und damit keine Kopie der fertigen Arbeit vorlegen konnte, sprach aus unserer Sicht dafür, dass sie in Wahrheit nicht fristgerecht mit ihrer Arbeit fertig war. Die hohe berufliche Belastung und die coronabedingten Einschränkungen hingegen hätte die Studierende während der Bearbeitungszeit bei unserer Mandantin geltend machen müssen.
So sah dies auch das Verwaltungsgericht Weimar in diesem Fall. Der Antrag im einstweiligen Rechtsschutz wurde abgelehnt und in der Begründung hat die Kammer neben anderem deutlich gemacht, dass die Chancengleichheit gegenüber allen anderen Studierenden verletzt würde, wenn unsere Mandantin die Arbeit der Antragstellerin zulassen und bewerten oder ihr einen weiteren Prüfungsversuch gewähren müsste.
Dr. Jürgen Küttner steht Ihnen insbesondere im Prüfungsrecht und im Beamtenrecht als hochqualifizierter Ansprechpartner zur Verfügung.